Zwickels Streikbruch und die Zukunft der Gewerkschaftsbewegung

Verfasser: Richard Schapke, im August 2003

Mit seiner eigenmächtigen Entscheidung, unter Übergehung der Tarifkommission den ostdeutschen Metallerstreik abzubrechen, fiel der mittlerweile zurückgetretene IG Metall-Bundesvorsitzende Klaus Zwickel der eigenen Gewerkschaft in den Rücken und sorgte für die Etablierung einer Sonderwirtschaftszone Ost durch das bundesdeutsche Großkapital. Erstmals seit 1954 verlor die scheinbar so mächtige Metallergewerkschaft einen Arbeitskampf. Nun sollte man sich allerdings hüten, diesen Streikbruch von allerhöchster Stelle als isoliertes Ereignis zu betrachten – die Wurzeln liegen tiefer.

Bereits in den Monaten vor dem nur zu berechtigten Streik in den neuen Bundesländern sah sich die Gewerkschaftsbewegung einer massiven Hetzkampagne aus Wirtschaft, Politik und bürgerlichen Medien von FAZ bis SPIEGEL ausgesetzt. Das Großkapital und seine Kollaborateure in der Politischen Klasse drängen unverhohlen auf die gesamtgesellschaftliche Anpassung an den marodierenden Globalisierungskapitalismus. Diese soll durch Zerschlagung des Sozialstaates zugunsten besserer Ausbeutungsbedingungen erreicht werden. Widerstand wird nicht toleriert, und ein erfolgreicher Arbeitskampf hätte selbst unter den politischen Bedingungen der BRD eine mobilisierende Gesamtwirkung haben können. Eine Clique aus einflussreichen Gesamtbetriebsratsvorsitzenden und Gewerkschaftsfunktionären, allesamt Erfüllungsgehilfen des Großkapitals, machte gegen den Streik mobil und sorgte mit dem Rückenwind der laufenden Medienkampagne für sein Scheitern.

Ergebnis des Zwickelschen Kotaus war ein heftiger innergewerkschaftlicher Machtkampf zwischen dem Bundesvorsitzenden und seinem designierten Nachfolger Jürgen Peters, dem Hauptbefürworter des Metallerstreiks. Es prallten zwei Flügel innerhalb der IG Metall aufeinander: Hier die Vertreter eines kapitalfreundlichen Anpassungskurses und dort die Verfechter einer wenigstens ansatzweise widerständigen Haltung. Interessant erscheint die Charakterisierung der Konfliktparteien durch die bürgerlichen Medien: Als Reformer gelten die wirtschaftsfriedlichen Kreise um Zwickel und Huber, als Traditionalisten und Betonköpfe werden hingegen die „kämpferischeren“ Funktionäre verunglimpft.

Allerdings dürfen die „Linken“ um Peters keinesfalls mit Sozialisten oder wahren Arbeitnehmervertretern verwechselt werden – auch sie erkennen die liberalkapitalistische Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung bedingungslos an. Die Spitzenfunktionäre jedweder Ausrichtung waren keinesfalls an einer grundlegenden innergewerkschaftlichen Richtungsdebatte interessiert, sondern deckelten die aufbrechenden Gräben durch die Tandemlösung Peters-Huber und verhinderten so eine in Anbetracht der gegen den Sozialstaat geführten Großoffensive von Regierenden und Wirtschaft dringend erforderliche Klärung und Positionierung. Im Gegenteil, auch Peters stimmte der faktischen Aufhebung der Flächentarifverträge zu und setzt fortan auf Verhandlungen auf Betriebsebene – die Folgen können bis hin zur Aushebelung des bestehenden Tarifsystems reichen.

Das opportunistische Verhalten der IG Metall ist innerhalb des DGB kein Einzelfall, wir verweisen hier auf die skandalösen Tarifverträge im Leiharbeitssektor, die Unterstützung der IG BCE für das Hartz-Konzept und die Agenda 2010 sowie auf den Kuhhandel der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit der Berliner „Koalition der sozialen Grausamkeit“ (SPD und PDS). Sowohl der DGB selbst als auch seine Einzelgewerkschaften werden von einer Fünften Kolonne des Kapitals geführt, ganz gleich hinter welchem Tarnmantel sie sich zu verbergen sucht. Man kann der KPD/ML nur beipflichten, wenn sie formuliert, in Gestalt der Arbeiteraristokratie in den Führungsetagen der Gewerkschaften unterwandere unverhohlene Konterrevolution die Gewerkschaftsbewegung. Ganz in diesem Sinne bekräftigten die Arbeitgeberverbände und Konzernleitungen nach ihrem Sieg die Notwendigkeit einer intakten Gewerkschaftsbewegung. Im Falle einer zu weitgehenden Schwächung der reformistischen DGB-Gewerkschaften ist eine Radikalisierung der durch Wirtschaftskrise und Sozialabbau unmittelbar betroffenen Werktätigen bis hin zu wilden Streiks nicht auszuschließen. Protestkanalisierung ist eine traditionelle Aufgabe des antisozialistischen Deutschen Gewerkschaftsbundes – Kapitulanten- und Streikbrechertum statt entschlossene Vertretung der Arbeitnehmerinteressen.

Leiteten in Großbritannien und den USA, den Musterknaben der kapitalistischen Globalisierung und des Neoliberalismus, konservative Regierungen die Entmachtung der Gewerkschaften ein, so obliegt diese Aufgabe in der Bundesrepublik der reformistischen Sozialdemokratie. Helfershelfer aus sämtlichen anderen Systemparteien von CSU bis PDS dienen sich ihnen nur zu gerne an. Innerhalb des DGB verschließt man noch immer die Augen vor der Tatsache, dass die SPD dem traditionellen Bündnis zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie spätestens mit dem Amtsantritt Gerhard Schröders, des Genossen der Bosse, den Rücken gekehrt hat. Ein Paradebeispiel hierfür ist der Metallerstreik, denn zur endlosen Liste gebrochener Schröderscher Wahlversprechen gehörte u.a. auch die Einführung gleicher Tarifbedingungen in der gesamten BRD. Die geschätzten Genossen der Gruppe Neue Einheit wiesen zu Recht darauf hin, dass es kurz vor Zwickels Streikbruch ein dubioses Vier-Augen-Gespräch zwischen dem IG Metall-Vorsitzenden und dem Bundeskanzler gegeben hat. Und wie nicht zuletzt die Politik der rosa-roten Regierung in Berlin und der Putsch der sozialdemokratisch orientierten Gruppe um Lothar Bisky auf dem Sonderparteitag gezeigt hat, ist auch von der PDS langfristig nicht sonderlich viel zu erwarten.

Was also tun? Die massenhafte Abwanderung der Gewerkschaftsmitglieder dient lediglich den Interessen des Kapitals und seines Staates, da sie zur weiteren Schwächung der Gewerkschaftsbewegung führt. Anarcho-syndikalistische Selbstbeweihräucherung in Splittergruppen wie der FAU oder der Aufbau alternativer Organisationen stellen – bei aller Sympathie - ebenfalls keine tragfähige Alternative dar (Stichwort Vertretungsmacht). Als einziger Weg erscheinen Fraktionsarbeit, Vernetzung und Agitation in Betrieben und Gewerkschaften, um der sozialdemokratischen Konterrevolution an der Basis entgegenzuwirken und das Bewusstsein für den Ernst der Lage zu schärfen.

DIE REVOLUTIONÄRE GEWERKSCHAFTSOPPOSITION ORGANISIEREN!!!